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Die Innenstadt der Zukunft gehört den Menschen – Teil 2

| top magazin

Die Sehnsuchts-Stadt ist nicht ‚wunderbar‘ sondern ‚wandelbar‘

Wie soll die Innenstadt der Zukunft aussehen? Die Frage beschäftigt seit Anfang 2020 die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Human City“ unter Federführung von Kresings Architektur GmbH, (Düsseldorf/Münster/Osnabrück), SQM Property Consulting (Münster) sowie der zeb.business.school (Münster/Frankfurt). In ihrem Auftrag hat Prof. Dr. Joachim Hasebrook von der Steinbeis Hochschule in Berlin – der ebenfalls zur Arbeitsgruppe gehört – eine Studie „Sehnsuchtsort Innenstadt“ erstellt. In top immobilien 1-2022 haben wir schon Teile der Studie und Ideen des Expertengremiums dazu vorgestellt. In dieser Ausgabe erfahren Sie weitere Studienergebnisse. Wir präsentieren interessante Thesen der Arbeitsgruppe und deren Vorschläge zur Bürgerbeteiligung.

Zentrale Aussage der Studie ist, dass die Innenstadt der Zukunft den Menschen und ihrer Begegnung mit Anderen gehört. Während der Landschaftsschutz inzwischen einen recht hohen Stellenwert habe, gibt es das Wort „Stadtschutz“ gar nicht, ärgert sich Architekt Rainer Maria Kresing. Die Stadt habe sich dem Verkehr unterworfen. Er fordert, die Stadt „intelligent autofrei“ zu machen. „Da reicht es nicht, einfach Straßen rot anzumalen“, so Rainer M. Kresing.

Dazu sind neue Formen der Bürgerbeteiligung nötig. „Variante A, B oder C ist keine Bürgerbeteiligung“, stellt Franz-Josef Reuter (zeb.business.school) fest und Prof. Dr. Joachim Hasebrook ergänzt, dass man offen für neue Impulse sein müsse. Doch die kommen selten von den üblichen Besuchern einer Bürgerversammlung, die nur Alibi-Veranstaltungen für die Stadtverwaltungen sind. „Ich will die haben, die normalerweise nicht kommen“, mahnt der Professor.

In und mit der Arbeitsgruppe sind inzwischen über 300 gute Ideen und sechs runde Tische entstanden. „Die Innenstadt der Zukunft gehört den Menschen“, ist die zentrale Aussage der Sehnsuchtsstudie, die die Arbeitsgruppe HumanCity* im vergangenen Jahr angefertigt hat. Die Innenstadt der Zukunft gehört den Menschen und ihrer Begegnung mit Anderen.In der Stadt muss es sich wieder „drubbeln“, komprimieren. Und die besten Voraussetzungen, um langfristig als Stadt zu funktionieren, bietet die kompakte Stadt, so die Arbeitsgruppe. Sie fordert: Wir brauchen dichte Stadtquartiere und große Parks. Wir brauchen ein neues Ordnungssystem. Das Leitbild einer kompakten Stadt bietet die Voraussetzung, Raum für Parks, Alleen und grüne Innenhöfe zu schaffen. Lernen vom Süden. Die Bewohner in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland schützen sich vor Hitzestau durch engmaschige Bauweisen, mit tief verschatteten Straßen und Gassen, die als Kälteinseln wirken. Auch in Deutschland hatte „die dichte Stadt“ noch bis zur Auflösung der Altstädte durch die Zerstörung im zweiten Weltkrieg überlebt. Nicht zuletzt der Wiederaufbau mit seinem systematischen Aufreißen von Straßenprofilen zu autobahnbreiten, meist baumlosen Verkehrsschneisen, hat der Sommerhitze Einfallstore in die Innenstädte eröffnet – eine Wärmepumpe, die sich durch noch so viel englischen Rasen und Fassadengrün nicht mehr abschalten lässt. Der Arbeitskreis Human City möchte, zusammen mit verschiedenen Interessengruppen, „Follies“ entwickeln und ausprobieren, was als „Publikumsmagnet“ und „Innovationsraum“ funktioniert, um eine nachhaltige Stadtentwicklung voranzubringen. Eine Art Setzkasten, eine Blaupause für strukturierte Urbanität.

Vier Thesen hat die Expertengruppe erarbeitet:

1. Sehnsucht vor Umsatz: Ziel der Stadtentwicklung kann weder die Erhöhung der Umsätze pro Quadratmeter noch die Schaffung von Wohnraum sein. Die Sehnsucht nach neuen Erlebnissen und Begegnungen müsse geweckt sowie Raum für Innovation und Veränderung geschaffen werden. Das führt zu erhöhten Besucherfrequenzen und alternativen Wohnformen.

2. Unbestimmtheit vor Nachverdichtung: Die weitere Stadtentwicklung darf nicht durch Nachverdichtung geprägt werden, die immer mehr Wohnraum in immer unattraktiveren Städten schafft. Zum Treiber der Stadtentwicklung muss sich stattdessen die Öffnung und Nutzung vorhandener Freiflächen und Leerstände als soziale Freiräume und Kreativflächen entwickeln. Diese folgen keinem festen Plan, sondern passen sich wechselnden Nutzungen an.

3. Soziale Brücken vor Sektoren: Das zentrale Zielbild der Stadtentwicklung kann nicht die funktionale in Sektoren aufgeteilte Stadt sein. Aus Sicht der Experten muss man vielmehr von Flexibilität und Überlappung von Funktionen fördern, damit neue Begegnungen und Erfahrungen soziale Brücken zwischen ansonsten getrennten Gruppen und trennenden Interessen bilden.

4. Mitverantwortung vor Expertokratie: Die Beteiligung der Bürgerschaft an der Stadtentwicklung sollte sich nicht auf unverbindliche öffentliche Versammlungen und komplexe Rechtswege beschränken. Aktive Mitverantwortung aller Interessengruppen müsse eingefordert, gefördert und durch innovative Formen der Begegnung und des Austausches organisiert werden.

Zurück zur Sehnsuchtsstudie: Im zweiten Teil beschäftigt sie sich mit zentralen Trendfragen rund um die deutschen Innenstädte. Während Männer die Zukunft eher als Fortsetzung der durch Corona bestimmten negativen Entwicklungen sehen, schauen Frauen deutlich optimistischer nach vorne. Sie setzen große Hoffnungen in eine bessere Stadt mit individuellerem Einzelhandel, respektvollerem Umgang miteinander, insgesamt mehr Menschen in den Innenstädten, höhere Familienfreundlichkeit und vielfältigere Gastronomie.

Die Stadt der Zukunft am optimistischsten beurteilen geschlechterübergreifend Baby Boomer und die Generation X (40 Jahre+). Sie legen viel Wert auf persönlichen Charakter durch lokale Geschäfte. Mehr Individualität ist ihnen ebenfalls sehr wichtig. Sie wollen die Stadt zur Freizeitgestaltung besuchen. Auf der Wunschliste stehen weiter mehr Außenbereiche, mehr Natur und Bäume und mehr kultureller Austausch mit vielfältigen Erlebnismöglichkeiten.

Prof. Dr. Joachim Hasebrook: „Die Interviewten hatten klare Präferenzen. Ihre Sehnsuchtsstadt ist nicht ‚wunderbar‘ sondern ‚wandelbar‘. Sie weist mehr Orte für Begegnungen auf und öffnet vorhandene innerstädtische Räume. Vielfalt, Historie und Natur treten in den Vordergrund, kreativer Neuanfang erhält mehr Raum. Wenn die Nutzung der Innenstädte weniger statisch, berechenbar und festgelegt bleibt und stattdessen flexibler und anpassungsfähiger wird, könnten sich diese Wünsche tatsächlich erfüllen.“

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