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Die Innenstadt der Zukunft gehört den Menschen – Teil 1

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Münsteraner Expertenrunde wünscht sich temporäre Räume zur Wiederbelebung der City – Bedarf an neuen Konzepten ist groß

Menschen suchen in den Innenstädten der Zukunft nicht nur den Einzelhandel oder die Gastronomie, sondern primär die Begegnung mit anderen Menschen. Dies zeigt eine Studie der Steinbeis Hochschule in Berlin. „Sehnsuchtsort Innenstadt“ – so der Titel der Studie – wurde von Prof. Dr. Joachim Hasebrook im Auftrag der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Human City“ unter Federführung von Kresings Architektur GmbH, (Düsseldorf/Münster/Osnabrück), SQM Property Consulting (Münster) sowie der zeb.business.school (Münster/Frankfurt) erarbeitet. Das fachübergreifende Expertenteam hat sich Anfang 2020 gegründet und beschäftigt sich seitdem intensiv mit Fragen rund um die Zukunft von Deutschlands Innenstädten und somit natürlich auch mit Münster. Rainer M. Kresing, zentraler Initiator der Gruppe: „Wir sind aktiv geworden, weil uns die Konzepte zum Thema Innenstadt unbefriedigend erscheinen. Wenn man über einen Neustart nach Corona nachdenkt, steht nachhaltiges Handeln im Vordergrund. Nur so kommen Frequenzen zurück in die Innenstadt und der Handel profitiert – nicht anders herum.“

Der Bedarf an neuen Konzepten ist unübersehbar groß. Noch vor den Sommerferien wird die Expertengruppe die Studie und Lösungsvorschläge für eine Wiederbelebung der Innenstädte in mindestens drei so genannten „Bürgermeisterrunden“ – einem Treffen von Bürgermeistern meist eines Landkreises – vorstellen, berichtet Franz-Josef Reuter von der zeb.business.school. Regierungspräsidentin Dorothee Feller, so Franz-Josef Reuter, sorgt sich besonders um die Kommunen im strukturschwächeren Ruhrgebietsteil ihres Regierungsbezirks und hat entsprechende Kontakte vermittelt. In den vier Münsterlandkreisen finden die Ausführungen und die Expertise der Arbeitsgruppe großes Interesse.

„Wir wollen gar nichts bauen“, erläutert Rainer M. Kresing. Diese Worte aus dem Mund eines Architekten wirken zunächst irritierend. Doch der Arbeitsgruppe geht es primär darum, Innenstädten nach Corona wieder Leben einzuhauchen und das mit möglichst wenig Aufwand. Die Bereitschaft zu Veränderungen sei da, es fehle nur an Anleitungen und Beispielen. „Wir müssen temporäre Räume bespielen“, weiß Franz-Josef Reuter. So hat die Expertengruppe die Idee, dass auf dem Platz vor dem Münsteraner Schloss, der aktuell als Parkplatz und für Jahrmärkte genutzt wird, z.B. ein Musik- und Kulturzentrum zum Ein- und Ausschalten entstehen könnte. Auf dem Schlossplatz können Rahmen gebaut werden, die vor Ort vorhandene städtische Baukörper widerspiegeln und einen offenen Blick auf das Barockschloss erlauben. In diesen Rahmen können durch Nebelmaschinen aus Wasserdampf und Licht gut sichtbare Wände erzeugt werden. Für Kulturveranstaltungen entstehen dann Räume, die nach Ende des Events auf Knopfdruck einfach wieder verschwinden. Technisch ist das heute kein Problem mehr.

Temporäre Nutzung könne auch bedeuten, dass sich ein Raum mehrfach pro Tag verändert: morgens Café und abends Kleinkunstbühne zum Beispiel. „Flexibilität führt zu höherer Vitalität“, ist Rainer M. Kresing überzeugt. Das gilt auch für die Expertengruppe selbst. „Es ist immer ein Gast dabei, wenn wir uns treffen“, ergänzt Architekt Marco Piehl.

Mehr als eintausend Interviews

„Warum sollen Menschen in die Stadt kommen?“, war ein Aspekt, den die Steinbeis-Studie herausfinden sollte, und deren Ergebnisse die weiteren Überlegungen und Ideen der interdisziplinären Arbeitsgruppe unterstützen. Für die Studie haben Prof. Dr. Joachim Hasebrook und sein Team ca. eintausend Menschen interviewt. „Die Besucher einer Stadt suchen vor allem eines“, betont Prof. Hasebrook. „Sie suchen Menschen“. Dazu erwarten sie positive Erlebnisse, geprägt von Stadtfesten und entsprechenden vielfältigen Angeboten. Gewünscht werden Kultur, Gastronomie und offene Plätze zum gemeinsamen Miteinander. Vor diesem Hintergrund erkennen vor allem Frauen und Ältere in der Corona-Pandemie eine Chance für Aufbruch und Neugestaltung. Frauen beurteilen zudem die Zukunft der Innenstädte am optimistischsten und haben konkrete Vorstellungen. Sie sollten mit ihren Wünschen nach Ansicht der Studienautoren konsequent in die Stadtentwicklung der Zukunft einbezogen werden.

Prof. Dr. Joachim Hasebrook, Inhaber des Lehrstuhls für Human Capital Management an der Steinbeis Hochschule: „Menschen suchen in der Stadt nicht in erster Linie mehr Geschäfte, mehr Kultur, mehr Grün oder mehr Parkplätze, sondern Erlebnisorte, um andere Menschen zu treffen. Im Vordergrund steht nicht Shopping, sondern das gemeinsame Erlebnis der eigenen Freizeit.“ Dr. Martin Wolfslast, Co-Autor der Studie ergänzt: „Die Sehnsuchtsstadt der Menschen ist in ihrem Kern wandelbar. Die Nutzung der Innenstädte sollte daher nicht unverrückbar festgelegt sein, sondern leicht umsetzbare Veränderungen und hohe Flexibilität ermöglichen. Damit wird Sehnsucht auf Innenstädte möglich, die Menschen anziehen, Frequenz schaffen und Einzelhandel wie Gastronomie nachhaltig absichern.“

Im Detail ergab die Studie der Steinbeis Hochschule, dass das Wunschprofil einer Traumstadt vor allem ein breites Kulturangebot (81 Prozent) umfassen sollte. Wichtig waren den Interviewten ein einfacher Zugang zur Stadt und autofreie, verkehrsarme Flanierzonen (jeweils 51Prozent). Individuelle, kleine für die jeweilige Stadt charakteristische Geschäfte wurden ebenso häufig gewünscht. Großen Wert legten die Befragten zudem auf saubere und grüne Innenstädte (36 Prozent), eine heterogene Bevölkerung (29 Prozent) sowie ein historisches Stadtbild (28 Prozent). Sie wünschten sich zudem gut erreichbare und leicht zugängliche städtische Einrichtungen (28 Prozent). Alle Prozentzahlen beinhalten die Wichtigkeit der Antworten und nicht einfach die Häufigkeit der Nennungen. Die Gewichtungen wurden mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellt und sind damit aussagekräftiger als das reine Zusammenzählen, zumal einige Fragen auch offen beantwortet werden konnten.

Männer fokussierten vor allem auf ein breites Kulturangebot (98 Prozent) und ein attraktives historisches Stadtbild (20 Prozent). Frauen äußerten ein breiteres Wunschprofil als Männer mit den Kernthemen Sauberkeit und Natur (95 Prozent), weniger Autoverkehr sowie dem Wunsch nach kleinen und individuellen Geschäften (jeweils 73 Prozent). Für ältere Interviewteilnehmer (Baby Boomer der Geburtsjahre 1955 bis 1969) stand beim Blick auf Deutschlands Innenstädte ebenfalls ein breites kulturelles Angebot im Vordergrund (97 Prozent). Jüngere Befragte (Millennials Jahrgänge 1981 bis 1996) wünschten sich dagegen vor allem individuelle Geschäfte (89 Prozent). Eine autofreie Innenstadt ist ihnen etwas wichtiger als den Älteren.

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